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Jürgen Hein (Hg.)
Wenzel Scholz und Die chinesische Prinzessin
Der anonyme Einakter Wenzel Scholz und Die chinesische Prinzessin wurde am 28. März 1856 im Carl-Theater als Benefizstück anläßlich des 70. Geburtstages von Wenzel Scholz aufgeführt.
Der Inhalt läßt sich folgendermaßen zusammenfassen: Nachdem Scholz’ Suche nach einem Autor, der für ihn ein Stück schreibt, ergebnislos bleibt und ein an ihn adressiertes Paket mit dem Manuskript Wenzel Scholz und Die chinesische Princessinn nur leere Bögen enthält, macht er sich mit ein paar Flaschen Wein, die ihn „begeistern” sollen, selbst ans Werk und schläft darüber ein. Im Traum wird er nach China versetzt, wo er eine Prinzessin heiraten und, als Komödiant entlarvt, sein Leben verlieren soll. Gerade rechtzeitig aus dem Traum geweckt, hat er damit auch den gesuchten Stoff für sein Stück.
Der Einakter ist ein wichtiges Zeugnis für die Zusammenarbeit des Komikerquartetts Nestroy, Scholz, Treumann und Grois an einem Wendepunkt von der ‚alten’ Possenkomik des Wiener Volkstheaters, die mit Wenzel Scholz zu Ende geht, zur ‚neuen’ Komik nach 1850 auf dem Weg zur Operette.
Quodlibet 5
95 Seiten
13 x 21 cm
10 SW-Abbildungen
Hardcover mit Schutzumschlag
ISBN 3-901749-34-9
Euro 14,40 / sfr 25,- |
Rezensionen
– Friedrich Walla (Nestroyana 24/3–4)
Mit dem Einakter Wenzel Scholz und Die chinesische Prinzessin legt der Verlag Johann Lehner ein weiteres schmuckes Bändchen in der Serie Quodlibet vor, und Jürgen Hein dokumentiert ein erstaunliches, durch drei Dezennien jährlich (meist zweimal) wiederkehrendes Ereignis der Wiener Theatergeschichte: die Scholzischen ‚Benefizien’. Bei einem solchen kamen die über die Tageskosten hinausgehenden Einnahmen dem Benefizianten zugute. Der beliebte Komiker, der sonst schon bei seinem bloßen Auftreten auf der Bühne wahre Lachstürme hervorrief, erregte mit der Wahl der bei seinen Einnahmeabenden aufgeführten Werke regelmäßig das Mißfallen des Publikums. „Fast alle endeten mit einem Fiasko” (S. 77). Schuld an dieser Misere war Direktor Carls Forderung, daß Benefizianten ihre eigenen Stücke beizubringen hatten. Das Werkchen dreht sich nun um die Nöte, die Wenzel Scholz hat, ein geeignetes Werk für diesen Anlaß zu finden.
Der anonyme Einakter wurde am 28. März 1856 im Carl-Theater anläßlich des siebzigsten Geburtstages von Wenzel Scholz aufgeführt. Der Band bietet auf knapp 30 Seiten den Text und einen Apparat, wie er einer kritischen Ausgabe entspricht: eine Auswahl der wichtigsten Lesarten und Varianten, ausführliche Erläuterungen, den Zensurakt, interessante Dokumente zu Scholz’ Wirken (so die witzige „Lebens-Anzeige” und den großzügigen Vertrag Direktor Nestroys mit Scholz), zeitgenössische Berichte über Scholz, ein ausführliches, gut lesbares Nachwort, in dem sich Hein auch mit der Autorschaft des Werkes auseinandersetzt, eine Zeittafel, die das Wirken von Scholz in die Entwicklung des Wiener Volkstheaters einbindet, und mehrere exemplarische Abbildungen: insgesamt also ein sehr informativer Band, der allerdings auch einige Fragen aufwirft. Die den Nachschlagewerken folgende Zeittafel bedeutet z. B., daß Scholz trotz Ankündigung des Stückes zum Zeitpunkt der Aufführung erst 69 Jahre alt war. Wurde der 70. Geburtstag um ein Jahr vorgezogen? Oder hat der zeitgenössische Kritiker (S. 71, Anm. 2) mit seiner Angabe des abweichenden Geburtsdatums doch recht?
Jürgen Hein ist bemüht, dem ‚Findling’ einen respektablen Vater zuzuschreiben. Und welcher Autor wäre respektabler als der Direktor des Carl-Theaters selbst? Man wird Heins (ohnedies vorsichtigem) Entdeckerstolz nicht unbedingt folgen wollen. Er erwähnt etwa „den z. T. witzigen Dialog” (S. 79) und „Spuren” von Nestroys Mitarbeit (S. 80). So besonders witzig ist der Dialog aber nun doch wieder nicht und beschränkt sich, wie Hein selbst zugibt, auf die Nestroy-Rolle des SCHNUDRIWUDRI. Dort finden sich auch die von Hein mit Abbildung (S. 90) dokumentierten Korrekturen von Nestroys Hand. Nestroy dürfte sich also seine eigene Rolle etwas mundgerechter gemacht haben, wie dies ja auch für andere Rollen fremder Autoren belegt ist. Der Zensurakt (S. 80) beweist nichts: Bei der Polizei wurden Stücke jeweils vom Direktor des Theaters eingereicht, was Hein ja in einer Fußnote vermerkt. Dafür gibt es zahllose Beispiele von Karl Carl, Franz Pokorny und auch Nestroy. Man vergleiche damit die Zensureintragung zu Orpheus in der Unterwelt, die als Autor der Textfassung dieser Offenbach-Operette ausdrücklich Nestroy anführt. Schon die Todesproblematik des Stückes (etwa S. 14, S. 37) spricht bei Nestroys panischer Todesfurcht gegen eine Zuschreibung des Werkes an ihn.
Die Ausgabe des Einakters zeigt die Schwierigkeiten der Edition von Theatermanuskripten, die vielfach überarbeitet wurden. Obwohl das Werk laut Rommel (und Hadamowsky) nur ein einziges Mal aufgeführt wurde, hat man das Manuskript doch nachträglich einer Bearbeitung unterzogen, deren Zweck es offenbar u. a. war, eine Verwandlung (die Wohnung von Wenzel Scholz) einzusparen. Eine weitere Aufführung war also zumindest (an einem anderen Theater?) ins Auge gefaßt worden. Dabei wurden Teile der ursprünglichen Fassung entfernt, Einlagezettel aufgeklebt, die vielleicht ebenfalls zum Teil verloren sind. Die von Jürgen Hein abgedruckte Fassung entspricht nun weder dem abgebildeten Theaterzettel, noch ist sie stimmig in sich selbst. Das Stück beginnt (S. 11) in der „Theatergarderobe des Herrn Wenzl Scholz”, dennoch „stürzt” die Figur des SCHOLZ am Ende der 7. Szene (S. 19) in eben diese Theatergarderobe „ab” („ich weiß schon was ich thu – ich – ich geh’ in meine Theater Garderobe”). Im Personenverzeichnis der abgedruckten Fassung wäre, wie die Korrektur auf der S. 89 abgebildeten Manuskriptseite zeigt, HERTHA, STUBENMÄDCHEN durch die PORTIERIN DES THEATERS zu ersetzen und der S. 41 f. abgedruckte Schluß, der die Figur des SCHOLZ in seiner Garderobe einschlafen läßt („Er schlaft ein […] man hört ihn schnarchen”), in den Haupttext zu integrieren. Dem STUBENMÄDCHEN gehört die S. 39 im Anhang abgedruckte fragmentarische Szene zu. Die ursprüngliche Fassung, in der das Stubenmädchen offenbar ein Stück für ihren Herrn schreibt, ist wohl endgültig verloren und nicht zu rekonstruieren. Die im Manuskript entfernten und eingefügten Blätter verwirren natürlich die ursprüngliche Seitenzählung. Hein sah sich daher außerstande, die mit Seitenzahlen bezeichneten Zensureingriffe zu identifizieren. Die folgenden, im Anhang in den Varianten auf S. 42 f. mitgeteilten Streichungen „(x Die Großen des Reiches lieben die Offenherzigkeit […] Das muß noch nicht lange her sein x)” und „(x der Caesar von China x)” sind mit Sicherheit Eingriffe des Zensors. Kriminalistischer Spürsinn könnte – ausgehend von diesen Fixpunkten – wohl andere Zensureingriffe identifizieren (hier böte sich etwa der Hinweis auf „Vielweiberei”, S. 29, an). Interessant ist die Tatsache der Diskrepanz zwischen der Beurteilung durch den Zensor Hölzl (S. 52) und dem endgültigen Bescheid (S. 51): von Hölzl angekreidete Stellen auf S. 23 und 27 des Manuskripts werden zugelassen, jedoch kommt eine neue Stelle auf S. 60 hinzu. Der Name des ausfertigenden Beamten (hier: „Kosmanit”) ist an anderer Stelle der Nestroy-Edition (Stücke 5, 494) mit „Rosmannit” wiedergegeben. Vielleicht könnte der österreichische Beamtenschematismus hier eine Klärung bringen.
Band 2 der Reihe Quodlibet, die sogenannte „Reserve”, liegt bereits in einer zweiten verbesserten Auflage vor. In einer zweiten Auflage dieses Bändchens könnten einige Kleinigkeiten bereinigt werden. S. 44, Zl. 12 muß es „schießen” statt „schließen” heißen, S. 23, Z. 4 und 5 v.u. wäre „Last” statt „Lust” entweder zu korrigieren oder als Emendation zu erwägen. Der in Nestroys Vertrag mit Wenzel Scholz erwähnte „Tageskosten-Pauschal-Betrag” (S. 59) kann nicht „Eintausend und Dreyßig Gulden” ausgemacht haben. Hier ist deutlich eine Null zuviel. Da die Summe in Worten ausgeschrieben ist, muß also ein Schreibfehler im Original vorliegen. Eine Anmerkung sollte dies klarstellen. In Scholzens Rollenverzeichnis (S. 74) ist der PLUTZERKERN aus dem Talisman zu streichen, diese Rolle wurde von Louis Grois gespielt (Stücke17/I, 375); statt BRUNNER wäre GABRIEL BRUNNER eindeutiger, als GABRIEL erscheint er im Text von Kampl, da ja dort auch noch sein Bruder BERNHARD (BRUNNER) vorkommt. Die ‚Scholzischen Benefizstücke’ werden von Hein zwar ausführlich dokumentiert, dennoch wäre ein Hinweis auf das gleichnamige Kapitel in der Nestroy-HKA (zur Fahrt mit dem Dampfwagen, Stücke 8/I, 337–347) nützlich.
Fazit: In den Augen dieses Lesers zwar kein neuer Nestroy (auch nicht ein halber), aber ein interessanter Beitrag zur Geschichte des Wiener Theaters, jedem am Wiener Volkstheater zur Zeit Nestroys Interessierten zu empfehlen.
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