nestroy-schoeller


banner

    Home Links Über uns Kontakt  Impressum

Verlagsprogramm



 
                
 

Philipp Hafner

Komödien

Herausgegeben von Johann Sonnleitner

Nur ein kurzes, aber intensives Leben war Philipp Hafner gegönnt: der Lyriker und Komödiendichter verschied neunundzwanzigjährig 1794 in Wien an einem „lunglbrand”. Damit hatte die Wiener Theaterszene wohl eines ihrer größten Talente frühzeitig verloren.
In der Mitte des 18. Jahrhunderts versuchten die Parteigänger Gottscheds, das Theater im Kontext der Aufklärung zu einer bürgerlichen Tugendschule umzufunktionieren und damit auch dem Wiener Stegreiftheater mit seinem unvermeidlichen Bernardon und Hanswurst endgültig den Garaus zu machen.
Der junge Hafner griff beherzt in diese Debatte mit einer theoretischen Schrift und einigen poetologischen Kurzdramen ein, die einerseits satirisch die Schwächen eines abgenützten Stegreifspiels geißelten, andererseits dem Theater jegliche erzieherische Funktion absprachen.
Die konventionellen, meist aus der Commedia dell’arte übernommenen Figurentypen wurden zunehmend individualisiert und verwienert und damit der Grundstein zu jenem literarischen Genre gelegt, für das sich der Begriff der (Alt-)Wiener Volkskomödie eingebürgert hat.
Neben den fünf bedeutendsten Komödien Philipp Hafners enthält der Band auch Dokumente zur Kritik und Rezeption. Das ausführliche Nachwort des Herausgebers informiert über den literaturgeschichtlichen und dramenästhetischen Kontext, um den Zugang zu diesem genialen Vorfahren Raimunds und Nestroys zu erleichtern.

 

446 Seiten
13 x 21 cm
Hardcover mit Schutzumschlag

ISBN 3-901749-16-0

Euro 25,30 / sfr 42,90


 

Rezensionen

– Jörg Drews, Süddeutsche Zeitung, 23./24. März 2002

Zauberpossen. Die wunderbaren, burlesken Komödien des Philipp Hafner

Ja, Herr Gottsched und Herr Sonnenfels, das war ein Fehler, dass Sie von Leipzig und von Wien aus den Hanswurst von der Bühne vertrieben haben. Denn die Folge war leider eine ziemlich verbreitete „fadesse” des Theaters: Es wurde zur moralischen Anstalt, sprach vom Kothurn herab, und wenn wir nicht Shakespeare auf deutsch und den jungen Schiller und Goethes „Götz” gehabt hätten, wäre das Theater ab etwa 1775 ganz klassizistisch-sauertöpfisch geworden oder gewesen. Das Kümmerdasein, das Posse und Burleske, Komödie und Schwank auf der deutschen Bühne führten und führen, hängt mit jener Verbannung des Ungebärdigen zusammen. Es gab aber nicht nur Lyrik vor Klopstock, sondern auch Theater vor Lessing: Stegreifspiel und Kasperliaden, die Tradition des wild Spaßhaften und Derben, des Unmäßigen und Unverantwortlichen – und dieser Unterstrom fehlt uns bis heute. Wie ein erneuter Beweis kommen nun sechs Komödien des Wiener Theaterautors Philipp Hafner daher, der nur 29 Jahre alt wurde (er starb schon 1764) und dem man schon deshalb ein längeres Leben gewünscht hätte, damit er seinen Kampf gegen das Bildungstheater hätte fortsetzen können.
Liest man seine Stücke heute, so kann man nur grimmig nicken, ob des Urteils Goethes, der das Genie Hafners (und den Zusammenhang dieser Stücke mit der Großstadt Wien) durchaus erkannte, aber gleich hinzufügen musste, das Gute werde hier „von einem großen Wuste begleitet”, und ihm werde „angst und bange”. „Wust” nennt Goethe den von witzigsten, wildesten, dauernd aus dem Ruder laufenden Wortspielen durchsetzten Redeschwall Hafners, der nach Goethescher Dramenästhetik natürlich undiszipliniert und unökonomisch ist. Aber eben darin liegt eben der überwältigende Reichtum dieser Stücke: Das haltlose Geplapper erlaubt einen schrägen Einfall nach dem anderen; wenn es Verse gibt, reimt sich „Bier” auf „Clystier”, Alexandriner sind wie mit der Axt zurecht gehackt und stampfen pseudomajestätisch, die Diener missverstehen das Französische und machen daraus dann ein Deutsch, dem gegenüber das Kauderwelsch Riccauts in Lessings „Minna” geradezu lupenrein ist.

Diedeltapp, Pamstig und Schnudi

Ganz zu schweigen davon, dass Hafner Figuren, die kaum lesen können, Briefe laut vorlesen lässt, was steinerweichende Resultate zeitigt, die man für sich als Nonsense-Prosastücke abdrucken könnte. Was da an Familiendramen, „lustigen Trauerspielen” (!), Hanswurstiaden und daneben gehenden Staatsaktionen auf die Bühne tritt, ist die köstlichste Sabotage an den Sublimierungsanstrengungen der spätbarocken Staatsaktionen und aller Aufklärungs(selbst)disziplin; Namen gibt es hier wie bei Karl Valentin (Plumpfsack und Diedeltapp, Pamstig und Schnudi ...), die Kalauer sind nicht zu zählen und niederschmetternd, die Expositionen kurz und unglaubwürdig, aber dann geht's effektvoll und rasant weiter, und die Schlüsse sind oft gar nicht happyendmäßig harmonisierend: Das Zweideutige allen Lebens und aller „Lösungen” bleibt auf eine hinterhältige Art präsent.
Wer nun denkt, dass all dies nur Spaß für den „budenpöbel” gewesen sei, der irrt; nach allem, was wir wissen, kam Hafners Publikum in der Wiener Vorstadt keineswegs nur aus den unteren Schichten. Wie hätte übrigens ein solcher Autor mit einer solchen vor- und dann außerklassischen Vorstellung vom Theater und einer so wienerisch-katholisch und karnevalesk gefärbten Vorstellung von lebendigem Deutsch sich halten können, als der Prozess der literarischen Zivilisation immer strenger wurde und entschlackte Klassizität die Bühne dominierte? Das war bekanntlich einerseits ein unendlicher Gewinn, für den aber ein Preis gezahlt wurde: der Preis der Eliminierung von sprachlichen Vitalqualitäten, des Abschneidens von sprachlicher Zufuhr aus Alltag und Unterschicht, aus süddeutsch-österreichischer Lebens- und Berufs- und Triebwelt.
Ja, „Mägera, die förchterliche Hexe” und ihresgleichen waren ein „Schandfleck” der Wiener Bühne, waren „pöbelhaft” und „roher Marmor”; doch als sie abtreten oder sich mäßigen mussten, hörte nicht nur Wien zu lachen auf (und lachte erst wieder mit Nestroy auf solcher lumpengenialischen Höhe). Johann Sonnleitner gebührt das Verdienst, fast 200 Jahre nach der letzten Hafner-Ausgabe durch seinen Namensvetter Sonnleithner die neue vorzügliche und ausgiebig kommentierte Hafner-Edition zustande gebracht zu haben; er teilt uns alles Nötige (und das Wenige biografisch Bekannte) über Hafner und jenen Theatermoment mit, in dem mariatheresianische Wohlanständigkeit und aufklärerische Ängstlichkeit der Lebendigkeit des deutschsprachigen Theaters doch insgesamt einen Bärendienst erwiesen haben. Es lebe der Schund und die Maschinenkomödie, die Zauberposse und die Burleske, das Kasperlstück, das Rührstück und das Vaudeville! Und wenn keiner Hafner auf die Bühne – mein Gott, was für einen Theaterabend könnten wir damit haben! Nicht auszudenken! Endlich einmal was anderes als „Maria Stuart” oder den „Kirschgarten”! – bringt, so mache man einfach, frei nach Karl Kraus, „Theater der Dichtung” daraus: Dies sind ja auch hinreißend unterhaltsame Lesedramen.

 

Seitenanfang