dossieronline.at Nr. 6
(2022)
Die Pandemie hat uns vor Augen geführt, wie rasch literarisch auf
aktuelle Ereignisse reagiert werden kann, man denke etwa an Marlene
Streeruwitz’ ‚Covid19-Roman‘ So ist die Welt geworden,
Elfriede Jelineks Stück Lärm. Blindes Sehen. Blinde sehen!
oder an zahlreiche andere anlassbezogene Veröffentlichungen.
Ähnliches war in den vergangenen Jahren auch bei rezenten Themen wie
Klimakrise oder Migration zu beobachten.
Doch ist eine derartige Aktualität überhaupt erstrebenswert?
Läuft Literatur nicht Gefahr, in der Konkurrenz mit
reaktionsschnelleren, anschaulicheren und breitenwirksameren Medien
hinterherzuhinken und ihre eigentlichen Stärken in ästhetischer
Qualität, reflektorischer Dichte und autonomer Distanz zu
vernachlässigen? Oder ist es gerade diese Gegenwärtigkeit, aus der
sich ein bleibender Wert eines Werks generiert?
Der dezidierte Gegenwartsbezug in österreichischen
Neuerscheinungen lässt sich auf unterschiedliche Weise fassen, u. a.
als
– thematische Gegenwärtigkeit in der
Literarisierung aktueller Ereignisse und Diskurse,
– ästhetische Gegenwärtigkeit über Schreibweisen,
die sich den Präsentations-, Interaktions- und
Aufbewahrungsmöglichkeiten der neuen Medien verdanken,
– mediale Gegenwärtigkeit durch Online-Formate
und andere digitale Kommunikations- und Distributionsweisen,
– opake Gegenwärtigkeit des schreibenden Ichs im
Text, oder auch als
– poetologische Gegenwärtigkeit durch eine
Adaption des Literaturbegriffs für all diese Phänomene.
Inhaltsverzeichnis
Lisa Erlenbusch, Christian Neuhuber:
gegenwärts. Einleitung ……… 5
Beiträge (peer-reviewed)
Joanna Drynda:
"Ich möchte anwesend sein, wenn der Tod kommt."
Ein Versuch über Mutter. Chronik eines Abschieds (2020) von
Melitta Breznik ……… 13
Teresa Hartinger:
Repräsentation und Gegenwärtigkeit des Alter(n)s in Die alte
Johanna von Renate Welsh ……… 31
Lisa Erlenbusch:
"Manchmal muss nicht alles g’sagt werden."
Dramenästhetische Tradition und Innovation in Lisa Wentz’ Adern
……… 45
David J. Wimmer:
Setz did it again!
Zur (unverhofften) Aktualität der jüngsten Literatur von Clemens J.
Setz ……… 59
Walter Fanta:
Žižek in Teheran, Arslan in Bingöl und Kutzenberger in Santa María.
Wohin es die österreichische Literatur verschlägt ……… 77
Günther A. Höfler:
Ecce homo, id est mundus!
Lebens- und Weltansichten von Köhlmeiers rhapsodisch-tintenklecksend
durch die (Ideen-)Geschichte streunendem Kater Matou ……… 91
Daniela Bartens:
Über Leben.
Zeit(en) und (Erzähl-)Räume in Gerhard Roths monumentalem Alterswerk
Die Imker ……… 105
Robert Vellusig:
Zeitlochfantasien.
Heinrich Steinfests Amsterdamer Novelle ……… 123
Stefan Maurer:
Keine Dystopie, nicht jetzt – nicht schon wieder.
Vom dystopischen Ton in der Gegenwartsliteratur ……… 143
Stefan Alker-Windbichler:
Die Neunziger, 2001 und wir.
Gegenwartsbezüge bei Barbi Marković und Angela Lehner ……… 157
Essays
Agnes Altziebler:
Die Corona-Tagebücher des Literaturhauses.
"Ich habe mir 2020 irgendwie anders vorgestellt." Anlass-Literatur –
Auftrags-Literatur? ……… 173
Barbara Reiter:
Augenbrauen.
Über die Wiedergeburt der Schlagfertigkeit aus dem Geist der
Online-Kommentare ……… 207