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Robert Pichl, Clifford A. Bernd (Hg.)
The Other Vienna.
The Culture of Biedermeier Austria.
Österreichisches Biedermeier in Literatur, Musik, Kunst und Kulturgeschichte
In diesem Sammelband werden Vorträge präsentiert, die während des vom 25. bis 27. 3. 1999 im Graduate Center der City University von New York (CUNY) abgehaltenen österreichisch-amerikanischen Symposiums „The Other Vienna – Das österreichische Biedermeier in Literatur, Musik, Kunst, Geistes- und Kulturgeschichte” gehalten wurden.
Angeregt wurde diese Veranstaltung durch die im Jahr 1998 aktuelle Erinnerung an die Märzrevolution des Jahres 1848, die eine nach dem Ende der Napoleonischen Kriege begonnene, äußerst homogene, unter dem politischen, sozialen und kulturellen Aspekt aber höchst differenzierte Epoche, abschloß und neue Perspektiven für die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts eröffnete.
Die Beiträge des Bandes sind in fünf thematische Sektionen gegliedert: 1. Literatur, 2. Musik, 3. Geistes- und Kulturgeschichte, 4. Kunst des Schaubaren, 5. Rezeption und Breitenwirkung.
352 Seiten
16,5 x 23 cm
33 SW-Abbildungen
Broschur
ISBN 3-901749-29-2
Euro 31,00 / sfr 52,50
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Rezensionen
– Peter Branscombe (Nestroyana 24/1–2)
Dieser stattliche Band enthält, wie sein langer Titel klarmacht, das Ergebnis eines New Yorker Symposions. Sechzehn der 26 Beiträge sind der Literatur gewidmet, vier der Musik, je zwei der Geistes- und Kulturgeschichte, der Kunst des Schaubaren und der Rezeption und Breitenwirkung. Weiters kommen Begrüßungsworte, ein Tagungsbericht sowie das Programm der Veranstaltung vor. Fast die Hälfte der Kapitel sind in englischer Sprache, wobei die Wahl der Sprache seitens der einzelnen Autoren den Erwartungen eines Außenseiters nicht immer entspricht. Am Ende jedes Beitrags steht ein ‚Summary’ in der jeweils anderen Sprache. Gut gewählte, klar reproduzierte Abbildungen zieren einige der Beiträge.
Nach Donald G. Daviaus Diskussion des Terminus Biedermeier und der traditionellen Meinung ihres ‚Happy Face’ folgen vier Beiträge zu Grillparzer, zwei zu Stifter und je einer zu Betty Paoli, Seidl, Nestroy, Raimund und Sealsfield. Zu den breiteren Themen zählen das Salon- und Kaffeehausleben (von Johann Sonnleitner treffend und detailliert dargestellt), der Schubertkreis sowie Katastrophen in der Natur und im politischen Leben.
Die musikwissenschaftlichen Artikel beziehen sich auf die Rolle und Funktion der Musik im Wiener Biedermeier, Grillparzers Beziehung zur italienischen Oper, das öffentliche und quasi-öffentliche Konzertwesen, und die Musik in den böhmischen Ländern. Unter der Rubrik Geistes- und Kulturgeschichte beschreibt Harald Haslmayr die geistigen Hintergründe des Biedermeier, während Hinrich C. Seeba Heinz Politzers Menschenbild des Biedermeier unter die Lupe nimmt. Die zwei Beiträge zum Thema des Visuellen sind der Biedermeiermalerei und zwei Schubert-Filmemachern gewidmet.
Zu vielen der Beiträge muß man leider konstatieren, daß kleinere, leicht vermeidbare Fehler – Namen, Daten, Fakten – dadurch stören, daß sie den Tatsachen nicht genau entsprechen. Als Beispiele seien angeführt: Gluck bekommt den Taufnamen Christian und wird als „the founder of German opera” identifiziert (trotz der Tatsache, daß seine Opern ausschließlich italienische und französische Texte haben [Daviau]); der Aufsatz Musik in Biedermeier Vienna (Raymond Erickson) wimmelt von Fehlern, was Titel, Fakten, Schreibweise und Interpretationen angeht; selbst Dorothy James, Autorin eines der allerbesten Beiträge zu diesem Sammelband, vergißt ein wichtiges kleines Wort in einem Raimund-Zitat. Es scheint, daß sich die Herausgeber um die Einrichtung der Beiträge kaum gekümmert haben – einige der Texte enthalten Fußnoten und/oder Bibliographie, andere geben keine Quellen an und verlieren dadurch an Nützlichkeit. Ein Namenregister wäre sehr wertvoll gewesen. Leser der Nestroyana interessieren sich wohl hauptsächlich für Drama und Theater. Mit vier Kapiteln steht Grillparzer hier quantitativ an erster Stelle. Weniger reichlich, aber trefflich bedient sind Raimund und Nestroy mit je einem Beitrag. James untersucht ‚Politics and Morality’ in Raimunds Stücken, wobei sie sich klar und entschieden gegen die neuere Tendenz stellt, Raimund aus moderner bzw. post-moderner Perspektive zu beurteilen, als ob er mit dem Terminus ‚harmlos’ abzuschaffen wäre. James argumentiert überzeugend, daß seine Dramen ein echter Ausdruck der ‚Seelenkultur der Biedermeierzeit’ (in der traditionellen Auslegung) sind und daß er ein aggressiver, überzeugter Verteidiger der konventionellen Moralität seiner Zeit war. Johann Hüttners ‚Through the Eyes of the Censor: Johann Nestroys Theatre vs. Authority’ bezeugt anhand einleuchtender Beispiele, wie subtil der Satiriker seine ersten Gedanken umzubauen lernte, damit seine Possen überhaupt auf die Bühne gelangen durften, ohne ihre Pointen zu verfehlen.
Unter den Beiträgen über Grillparzer habe ich Robert Pichls Aufsatz mit besonderem Interesse gelesen; er behandelt die ‚patriotischen Lehrstücke’, die er als „eine zwanglose Anleitung zur kritischen Bewußtseinsbildung und zur Erkenntnis, daß man aus der Geschichte etwas lernen soll” interpretiert. U. Henry Gerlach analysiert die doppelte Peripetie Ottokars, der an erster Stelle als Monarch, an zweiter Stelle nach Kunigundes sexueller Erpressung auch als Mensch fällt. Hinrich C. Seebas Artikel über Der Traum ein Leben studiert das Stück vom Gesichtspunkt des Neuen Historismus aus, wobei die Emphase auf Aspekte des zeitgenössischen Lebens um 1834 fällt, etwa Technologie, Zensur und „schöpferische Resignation”, ohne die persönlichen Überzeugungen neuerer Kritiker zu übersehen. In ‚The Libussa Controversy: Some Thoughts on Male Dominance’ kehrt William C. Reeve zu einem schon in einer Monographie behandelten Thema mit einigen neuen Ideen zurück. Unter Untersuchungen über breitere Themen behandelt Katherine M. Arens’ Studie die Naturkatastrophen der Zeit: Sonnenfinsternisse und Überschwemmungen, aber auch menschliche Katastrophen, vor allem die Revolution (stärker relativiert von Nestroy in Freiheit in Krähwinkel, als die Autorin vielleicht meint). Besser fundiert sind ihre Bemerkungen zu Stifters ‚Sonnenfinsternis’ und Grillparzers Der arme Spielmann. Sämtliche Beiträge zu einem so großen Sammelband kann man in einer verhältnismäßig kurzen Rezension unmöglich besprechen. Dieses Buch enthält viele interessante, anregende Aufsätze; jeder Freund des Biedermeier wird sicher vieles darin mit Freude und Gewinn lesen.
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